Mittwoch, 10. Januar 2018



BEGEGNUNG AUF DER PARKBANK

 






Als ich ihm begegnete, hockte er auf einer Parkbank, blass und unrasiert, saß da wie vermutlich alle Versager dieser Welt, sobald sie erst begriffen haben, dass ihr Versagen unwiderruflich und durch nichts und niemanden rückgängig zu machen ist. Man kennt das, denn es gibt viele Versager, die alle gleich aussehen, weshalb sich mehr oder weniger die meisten Menschen verblüffend gleichen. Das verdient kein Mitleid, denn jeder schreibt die Story seines Lebens selbst. Doch schenke ich gerne jedem etwas Aufmerksamkeit, denn auch wer im Leben nichts gilt, kann doch als Kunde Bedeutung erlangen - auch Versager kaufen ein. Er schien es nicht zu bemerken, als ich mich wortlos neben ihn setzte. Den Kopf in den Nacken geworfen, starrte der junge Mann durch seine billige Brille (ganz offensichtlich kein Markenmodell) in den leicht bewölkten Himmel, ganz entspannt saß er da, mit gespreizten Beinen unter einem hellen, etwas fleckigen Trenchcoat, und schien nichts zu spüren als jenes deprimierende, eisige Gefühl, das bestimmt jeden Versager unentwegt durchströmt.

Ich wollte nicht stören, denn ich respektiere das Unglück der anderen. Andererseits hatte ich Mittagspause, mein Handy schwieg, und ich fand mich gut aufgelegt für ein launiges Zielgruppengespräch. "Ich hoffe, es belästigt Sie nicht", begann ich nach kurzem Zögern, "wenn ein Vertreter der Geschäftswelt auf Ihrer Bank seine Pause realisiert." Ich erwartete nur ein Murren als Zeichen der Zustimmung oder Ablehnung. Denn Versager sind schweigsame Menschen, was ich gut verstehe. Doch der junge Versager an meiner Seite, der unentwegt in den Himmel starrte, als wolle er allenfalls mit den Wolken ein Gespräch beginnen, erwiderte freundlich: "Es stört mich keineswegs, wenn es Sie nicht stört, neben einem Versager zu sitzen." Den Kopf noch immer im Nacken, drehte er ihn mit diesen Worten zu mir, und ich sah in ein langweiliges, sympathisches Gesicht, das sich gewiss noch nie über die Geheimnisse eines Business Plans oder die Strategiekonzepte erfolgreicher Marktpenetration gebeugt hatte. "Ich gestehe", gab ich ehrlich zur Antwort, "dass ich Versager herzlich verachte. Im Grunde ist mir jeder erfolgreiche Ganove lieber als ein Versager, dem kein anderer Ausweg als die Ehrlichkeit bleibt. Um es auf den Punkt zu bringen, erlaube ich mir die Bemerkung, dass mir nichts widerlicher, ekliger, verabscheuungswürdiger, gemeiner, niederträchtiger, rundheraus gesagt: unerfreulicher vorkommt als die Vorstellung, die gesamte Mittagspause neben Ihnen zu verbringen." 

Natürlich hatte ich mit diesen beherzten Worten meinen Gesprächspartner nicht verletzen wollen, im Gegenteil, sie sollten lediglich das kommunikative Come Together zwischen ihm und mir erleichtern. Er schien das zu verstehen, denn nach einem Augenblick verständlicher Verwirrung sagte er höflich: "Wenn ich die Situation richtig einschätze, zwingt Sie niemand, neben mir sitzen zu bleiben. Keiner versteht Ihren Ekel vor mir besser als ich selbst. Man kann von Versagern halten, was man will, aber zweierlei lassen sie sich von niemandem nehmen, ihre Mittagspause und ihren Selbstekel. Während ich hier neben Ihnen sitze, empfinde ich diesen Ekel noch stärker als gewöhnlich, wenn ich allein oder in Begleitung anderer Versager bin. Denn allein oder unter anderen Versagern bin ich nur ich oder unter meinesgleichen, neben Ihnen aber, mit Ihrem geschmackvollen City-Anzug, den Doppelmanschetten Ihres durch und durch blütenweißen Hemds und Ihrem sonnenstudiogesundgebräunten Gesicht, sehe ich mich als der Versager, der ich bin. Verzeihen Sie meine lange Rede. Erfolg ist, wie jeder Erfolgreiche weiß, nur eine Frage der richtigen Performance. Jesus hat es gewusst und neben den Contents nie die Performance vergessen. Auch Buddha und Konrad Adenauer, Adolf Hitler und Beate Uhse, Mohammed und Gerd Schulte-Hillen, alle Großen haben zu jeder Zeit gewusst, dass - unabhängig vom Geschäftsfeld - erst der gelungene Marketing-Mix den Erfolg garantiert. 

Für den Fall, dass mich der junge Versager mit seinem Wortschwall penetrieren wollte, kann ich sagen - es war ihm gelungen. Er hatte für seine Performance eine Belohnung verdient."Sieben", flüsterte ich. Der Versager starrte mit zurückgelegtem Kopf wieder in den Himmel, von seiner Kommunikationsoffensive offenbar erschöpft. "Wie bitte", erkundigte er sich leise, ohne die Haltung seines Kopfes zu verändern. "Sie sind", sagte ich, "der erfolgreichste Versager, der mir je begegnet ist, genauer gesagt sind Sie der erste Versager, der mich interessiert. Ich weiß zwar nicht, warum Sie ein Versager sind, ich weiß nicht einmal, ob Sie etwas anders sein wollen als ein Versager, aber ich weiß, wie Sie etwas Anderes sein könnten, wenn Sie wollten." Sein Kopf fiel in die Horizontale, und zum ersten Mal seit Beginn unseres Gesprächs drehte er sich mit dem Körper zu mir: "Wie?" "Der Erfolg", sagte ich, "ist eine ungerade Zahl, die Zahl heißt sieben. Wenn Sie wollen, werde ich Ihnen die sieben Regeln verraten, die den Erfolgreichen von einem Versager unterscheiden, in unserem Falle mich von Ihnen." "Was mich zum Versager macht", unterbrach mich der junge Versager, "ist mir bekannt. Erzählen Sie doch mal von sich, was treiben Sie denn so?" 

"Erste Regel", erwiderte ich ruhig, "fragen Sie nie einen Erfolgreichen, mit was er Erfolg hat. Es ist vollkommen gleichgültig, ob ich mein Geld als Geschäftsführer einer Entsorgungsfirma, eines Zeitungsverlages oder eines Mineralwasserkonzerns verdiene. Wer Müll verbrennen kann, der wird auch Zeitungen los, und Wasser wird immer gesoffen. Wichtig ist nicht, was man tut, sondern dass man Erfolg dabei hat. Das, mein Lieber, ist die erste Regel. Wenn Sie die nicht verstehen, bleiben Sie ewig der Versager auf der Parkbank." Er nickte bedächtig. "Tolle Regel", sagte er und lächelte, "dann kann ja nichts mehr schief gehen." 

"Die Ironie, mein Lieber", erwiderte ich ungeduldig, "ist ein Privileg der Erfolgreichen. So weit sind Sie noch nicht. Die zweite Regel lautet: Bleibt der Erfolg wider Erwarten aus, feiern Sie ihn trotzdem. Nur der Versager spricht von Scheitern, der Erfolgreiche nur vom Erfolg." "Das ist doch Unsinn", sagte der junge Versager, "wenn ich erfolglos bin, dann bin ich gescheitert." "Sie schon", sagte ich sanft, "deswegen sind Sie bis heute der Versager. Der Erfolgreiche weiß, dass es den Misserfolg nicht gibt. Führt er seine Firma in die Krise, spricht er von Anpassungsproblemen, geht sie in Konkurs, erkennt er darin die positive Chance eines Neuanfangs. Verschimmeln seine unverkäuflichen Produkte, verlangt er von seinen Assistenten Studien zum Fremdkaufverhalten, springen die treuesten Kunden ab, sieht er ein Optimierungspotenzial der Kundenhaltbarkeitsverlängerung."

"Sie wollen sagen, die Lüge ist die Basis des Erfolgs", rief der junge Versager erregt und trat wütend die Zigarette aus. "Keineswegs will ich das sagen", antwortete ich amüsiert, "hören Sie die dritte Regel: Mit dem Misserfolg ist auch die Lüge abgeschafft. Wissen Sie, wer ein Lügner ist? Ein Lügner ist einer, der die Wahrheit als Möglichkeit betrachtet und sich aus wohlerwogenen Gründen für eine andere Möglichkeit als Wahrheit entscheidet. Aber würden Sie den im Ernst als Lügner bezeichnen?"

Im Blick des jungen Versagers bemerkte ich jene Unsicherheit, die überall auf der Welt zu Recht als Stigma des Versagers gilt. Er zögerte mit einer Antwort. "Sehen Sie", sagte ich, "die Sache liegt ganz einfach. Jetzt die vierte Regel: Sie müssen Freund sein. Feinde hat man ohnehin genug, den Rest lassen Sie Ihre Freundschaft spüren. Ihr Vorgesetzer will Sie befördern? Ausgezeichnet, er hat Ihre Freundschaft verdient. Er will Sie nicht befördern? Dann hat er sie erst recht verdient. Es gibt keinen Grund, einem Idioten die Freundschaft zu verweigern, wenn die Aussicht besteht, von ihm Geld zu bekommen, und erst recht nicht, wenn Sie es nicht zurückzahlen wollen."

"Sie wollen die Menschheit zu einer Gemeinschaft von Heuchlern machen", rief der junge Versager und sprang auf. "Irrtum, das ist sie schon längst", erwiderte ich ruhig, "ich bin nur ein Gegner der Selbstverleugnung, übrigens die subtilste Form der Heuchelei. Also setzen Sie sich und hören Sie die fünfte Regel."

"Moment mal", sagte der junge Versager, ohne meiner Aufforderung zu folgen,"Ihr verlogener Optimismus hat doch zumindest einen Haken. Was ist, wenn Ihnen keiner glaubt, wenn Ihre Heuchelei erwiesen, Ihre Lüge bekannt, Ihre Pleite eine Tatsache und Ihr Misserfolg amtlich ist? Geben Sie sich dann gleich die Kugel oder machen Sie vorher noch einen Einkaufsbummel?"

Der morbide Humor des jungen Versagers schlug mir allmählich aufs Gemüt. Offenbar hatte ich bei ihm keine passende Zugangslücke für meine Ratschläge gefunden, aber für eine qualifizierte Trendexploration im Bewusstsein dieses Versagers war es nun zu spät. "Sie führen uns damit zur fünften Regel", setzte ich das Gespräch ohne rechte Begeisterung fort, "natürlich kann das alles vorkommen, selbst der Erfolgreichste ist vor gewissen Konstellationen nicht sicher. In diesem Falle gilt die Regel: Die Vergangenheit war gestern, heute aber haben wir uns schon für morgen ganz neu aufgestellt."

"Wieso neu aufgestellt", unterbrach mich der Versager erneut, ein hoffnungsloser Fall. "Das ist ein Code-Wort, verstehen Sie, eine Duftmarke", sagte ich gereizt, "damit signalisieren die Erfolgreichen, dass sie die Verantwortlichen für ungünstige Konstellationen gefunden haben."

"Und wenn die Erfolgreichen selbst die Verantwortung tragen?" Die Begriffsstutzigkeit des Versagers wurde mir unerträglich. "Unmöglich", sagte ich verdrossen und stand auf, "sie können die Verantwortung nicht tragen, weil sie dann niemanden für verantwortlich erklären könnten. Das ist die sechste Regel."

"Ihre so genannten Regeln sind ein Codex der Ganovenehre", maulte der Versager. Er setzte sich, schloss die Augen und lehnte den Kopf wieder zurück: "Ich brauche Ihre Regeln nicht." 

"Sie wissen gar nicht, wie Recht Sie haben", sagte ich mit einem freundlichen Lachen, "denn das ist die siebte Regel: Versager brauchen keine Regel, sie sind die Regel." So sprach ich und ging meines Wegs.




Er war ein Versager, das war sonnenklar. Als ich ihm begegnete, hockte er auf einer Parkbank, blass und unrasiert, saß da wie vermutlich alle Versager dieser Welt, sobald sie erst begriffen haben, dass ihr Versagen unwiderruflich und durch nichts und niemanden rückgängig zu machen ist. Man kennt das, denn es gibt viele Versager, die alle gleich aussehen, weshalb sich mehr oder weniger die meisten Menschen verblüffend gleichen. Das verdient kein Mitleid, denn jeder schreibt die Story seines Lebens selbst. Doch schenke ich gerne jedem etwas Aufmerksamkeit, denn auch wer im Leben nichts gilt, kann doch als Kunde Bedeutung erlangen - auch Versager kaufen ein. Er schien es nicht zu bemerken, als ich mich wortlos neben ihn setzte. Den Kopf in den Nacken geworfen, starrte der junge Mann durch seine billige Brille (ganz offensichtlich kein Markenmodell) in den leicht bewölkten Himmel, ganz entspannt saß er da, mit gespreizten Beinen unter einem hellen, etwas fleckigen Trenchcoat, und schien nichts zu spüren als jenes deprimierende, eisige Gefühl, das bestimmt jeden Versager unentwegt durchströmt. Ich wollte nicht stören, denn ich respektiere das Unglück der anderen. Andererseits hatte ich Mittagspause, mein Handy schwieg, und ich fand mich gut aufgelegt für ein launiges Zielgruppengespräch. "Ich hoffe, es belästigt Sie nicht", begann ich nach kurzem Zögern, "wenn ein Vertreter der Geschäftswelt auf Ihrer Bank seine Pause realisiert." Ich erwartete nur ein Murren als Zeichen der Zustimmung oder Ablehnung. Denn Versager sind schweigsame Menschen, was ich gut verstehe. Doch der junge Versager an meiner Seite, der unentwegt in den Himmel starrte, als wolle er allenfalls mit den Wolken ein Gespräch beginnen, erwiderte freundlich: "Es stört mich keineswegs, wenn es Sie nicht stört, neben einem Versager zu sitzen." Den Kopf noch immer im Nacken, drehte er ihn mit diesen Worten zu mir, und ich sah in ein langweiliges, sympathisches Gesicht, das sich gewiss noch nie über die Geheimnisse eines Business Plans oder die Strategiekonzepte erfolgreicher Marktpenetration gebeugt hatte. "Ich gestehe", gab ich ehrlich zur Antwort, "dass ich Versager herzlich verachte. Im Grunde ist mir jeder erfolgreiche Ganove lieber als ein Versager, dem kein anderer Ausweg als die Ehrlichkeit bleibt. Um es auf den Punkt zu bringen, erlaube ich mir die Bemerkung, dass mir nichts widerlicher, ekliger, verabscheuungswürdiger, gemeiner, niederträchtiger, rundheraus gesagt: unerfreulicher vorkommt als die Vorstellung, die gesamte Mittagspause neben Ihnen zu verbringen." Natürlich hatte ich mit diesen beherzten Worten meinen Gesprächspartner nicht verletzen wollen, im Gegenteil, sie sollten lediglich das kommunikative Come Together zwischen ihm und mir erleichtern. Er schien das zu verstehen, denn nach einem Augenblick verständlicher Verwirrung sagte er höflich: "Wenn ich die Situation richtig einschätze, zwingt Sie niemand, neben mir sitzen zu bleiben. Keiner versteht Ihren Ekel vor mir besser als ich selbst. Man kann von Versagern halten, was man will, aber zweierlei lassen sie sich von niemandem nehmen, ihre Mittagspause und ihren Selbstekel. Während ich hier neben Ihnen sitze, empfinde ich diesen Ekel noch stärker als gewöhnlich, wenn ich allein oder in Begleitung anderer Versager bin. Denn allein oder unter anderen Versagern bin ich nur ich oder unter meinesgleichen, neben Ihnen aber, mit Ihrem geschmackvollen City-Anzug, den Doppelmanschetten Ihres durch und durch blütenweißen Hemds und Ihrem sonnenstudiogesundgebräunten Gesicht, sehe ich mich als der Versager, der ich bin. Verzeihen Sie meine lange Rede."Erfolg ist, wie jeder Erfolgreiche weiß, nur eine Frage der richtigen Performance. Jesus hat es gewusst und neben den Contents nie die Performance vergessen. Auch Buddha und Konrad Adenauer, Adolf Hitler und Beate Uhse, Mohammed und Gerd Schulte-Hillen, alle Großen haben zu jeder Zeit gewusst, dass - unabhängig vom Geschäftsfeld - erst der gelungene Marketing-Mix den Erfolg garantiert. (Vergleiche auch: Ludwig Golch in seinem Standardwerk "Die fünfte Drückerkolonne", 1991, vergriffen.) Für den Fall, dass mich der junge Versager mit seinem Wortschwall penetrieren wollte, kann ich sagen - es war ihm gelungen. Er hatte für seine Performance eine Belohnung verdient."Sieben", flüsterte ich. Der Versager starrte mit zurückgelegtem Kopf wieder in den Himmel, von seiner Kommunikationsoffensive offenbar erschöpft. "Wie bitte", erkundigte er sich leise, ohne die Haltung seines Kopfes zu verändern. "Sie sind", sagte ich, "der erfolgreichste Versager, der mir je begegnet ist, genauer gesagt sind Sie der erste Versager, der mich interessiert. Ich weiß zwar nicht, warum Sie ein Versager sind, ich weiß nicht einmal, ob Sie etwas anders sein wollen als ein Versager, aber ich weiß, wie Sie etwas Anderes sein könnten, wenn Sie wollten." Sein Kopf fiel in die Horizontale, und zum ersten Mal seit Beginn unseres Gesprächs drehte er sich mit dem Körper zu mir: "Wie?" "Der Erfolg", sagte ich, "ist eine ungerade Zahl, die Zahl heißt sieben. Wenn Sie wollen, werde ich Ihnen die sieben Regeln verraten, die den Erfolgreichen von einem Versager unterscheiden, in unserem Falle mich von Ihnen." "Was mich zum Versager macht", unterbrach mich der junge Versager, "ist mir bekannt. Erzählen Sie doch mal von sich, was treiben Sie denn so?" "Erste Regel", erwiderte ich ruhig, "fragen Sie nie einen Erfolgreichen, mit was er Erfolg hat. Es ist vollkommen gleichgültig, ob ich mein Geld als Geschäftsführer einer Entsorgungsfirma, eines Zeitungsverlages oder eines Mineralwasserkonzerns verdiene. Wer Müll verbrennen kann, der wird auch Zeitungen los, und Wasser wird immer gesoffen. Wichtig ist nicht, was man tut, sondern dass man Erfolg dabei hat. Das, mein Lieber, ist die erste Regel. Wenn Sie die nicht verstehen, bleiben Sie ewig der Versager auf der Parkbank." Er nickte bedächtig. "Tolle Regel", sagte er und lächelte, "dann kann ja nichts mehr schief gehen." "Die Ironie, mein Lieber", erwiderte ich ungeduldig, "ist ein Privileg der Erfolgreichen. So weit sind Sie noch nicht. Die zweite Regel lautet: Bleibt der Erfolg wider Erwarten aus, feiern Sie ihn trotzdem. Nur der Versager spricht von Scheitern, der Erfolgreiche nur vom Erfolg." "Das ist doch Unsinn", sagte der junge Versager, "wenn ich erfolglos bin, dann bin ich gescheitert." "Sie schon", sagte ich sanft, "deswegen sind Sie bis heute der Versager. Der Erfolgreiche weiß, dass es den Misserfolg nicht gibt. Führt er seine Firma in die Krise, spricht er von Anpassungsproblemen, geht sie in Konkurs, erkennt er darin die positive Chance eines Neuanfangs. Verschimmeln seine unverkäuflichen Produkte, verlangt er von seinen Assistenten Studien zum Fremdkaufverhalten, springen die treuesten Kunden ab, sieht er ein Optimierungspotenzial der Kundenhaltbarkeitsverlängerung.""Sie wollen sagen, die Lüge ist die Basis des Erfolgs", rief der junge Versager erregt und trat wütend die Zigarette aus. "Keineswegs will ich das sagen", antwortete ich amüsiert, "hören Sie die dritte Regel: Mit dem Misserfolg ist auch die Lüge abgeschafft. Wissen Sie, wer ein Lügner ist? Ein Lügner ist einer, der die Wahrheit als Möglichkeit betrachtet und sich aus wohlerwogenen Gründen für eine andere Möglichkeit als Wahrheit entscheidet. Aber würden Sie den im Ernst als Lügner bezeichnen?"Im Blick des jungen Versagers bemerkte ich jene Unsicherheit, die überall auf der Welt zu Recht als Stigma des Versagers gilt. Er zögerte mit einer Antwort. "Sehen Sie", sagte ich, "die Sache liegt ganz einfach. Jetzt die vierte Regel: Sie müssen Freund sein. Feinde hat man ohnehin genug, den Rest lassen Sie Ihre Freundschaft spüren. Ihr Vorgesetzer will Sie befördern? Ausgezeichnet, er hat Ihre Freundschaft verdient. Er will Sie nicht befördern? Dann hat er sie erst recht verdient. Es gibt keinen Grund, einem Idioten die Freundschaft zu verweigern, wenn die Aussicht besteht, von ihm Geld zu bekommen, und erst recht nicht, wenn Sie es nicht zurückzahlen wollen.""Sie wollen die Menschheit zu einer Gemeinschaft von Heuchlern machen", rief der junge Versager und sprang auf. "Irrtum, das ist sie schon längst", erwiderte ich ruhig, "ich bin nur ein Gegner der Selbstverleugnung, übrigens die subtilste Form der Heuchelei. Also setzen Sie sich und hören Sie die fünfte Regel.""Moment mal", sagte der junge Versager, ohne meiner Aufforderung zu folgen,"Ihr verlogener Optimismus hat doch zumindest einen Haken. Was ist, wenn Ihnen keiner glaubt, wenn Ihre Heuchelei erwiesen, Ihre Lüge bekannt, Ihre Pleite eine Tatsache und Ihr Misserfolg amtlich ist? Geben Sie sich dann gleich die Kugel oder machen Sie vorher noch einen Einkaufsbummel?"Der morbide Humor des jungen Versagers schlug mir allmählich aufs Gemüt. Offenbar hatte ich bei ihm keine passende Zugangslücke für meine Ratschläge gefunden, aber für eine qualifizierte Trendexploration im Bewusstsein dieses Versagers war es nun zu spät. "Sie führen uns damit zur fünften Regel", setzte ich das Gespräch ohne rechte Begeisterung fort, "natürlich kann das alles vorkommen, selbst der Erfolgreichste ist vor gewissen Konstellationen nicht sicher. In diesem Falle gilt die Regel: Die Vergangenheit war gestern, heute aber haben wir uns schon für morgen ganz neu aufgestellt.""Wieso neu aufgestellt", unterbrach mich der Versager erneut, ein hoffnungsloser Fall. "Das ist ein Code-Wort, verstehen Sie, eine Duftmarke", sagte ich gereizt, "damit signalisieren die Erfolgreichen, dass sie die Verantwortlichen für ungünstige Konstellationen gefunden haben.""Und wenn die Erfolgreichen selbst die Verantwortung tragen?" Die Begriffsstutzigkeit des Versagers wurde mir unerträglich. "Unmöglich", sagte ich verdrossen und stand auf, "sie können die Verantwortung nicht tragen, weil sie dann niemanden für verantwortlich erklären könnten. Das ist die sechste Regel.""Ihre so genannten Regeln sind ein Codex der Ganovenehre", maulte der Versager. Er setzte sich, schloss die Augen und lehnte den Kopf wieder zurück: "Ich brauche Ihre Regeln nicht." "Sie wissen gar nicht, wie Recht Sie haben", sagte ich mit einem freundlichen Lachen, "denn das ist die siebte Regel: Versager brauchen keine Regel, sie sind die Regel." So sprach ich und ging meines Wegs.Es stört mich keineswegs, wenn es Sie nicht stört, neben einem Versager zu sitzen. – Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/16350856 ©2018